Von Chile nach Deutschland - Karriere und Familie in Franken
Mein Leben Anfang 2016 war pures Chaos. Wir, meine Frau, mein fünfjähriger Sohn und ich waren seit einem Jahr in Nürnberg. Ich arbeite für ein internationales Unternehmen, in Bayreuth ansässig, pendele dafür jeden Wochentag mit dem Zug zwischen den beiden Städten. Meine Frau ist Wissenschaftlerin und hatte Anfang 2016 ihr Abschlussprojekt im Master begonnen – eine Kommunikationsanalyse zweisprachiger Geschäftsbeziehungen. Meine Frau und ich wurden das Gefühl nicht los, ständig unter Strom zu stehen. Neuer Aufgabenbereich in der Firma für mich, die wissenschaftliche Arbeit meiner Liebsten – und auf einmal tat sich ein weiterer Stressherd auf.
Pablo spricht Spanisch und darf nicht in die deutsche Schule
Unser Kleiner sollte in die Schule. Zuhause sprechen wir Spanisch, natürlich ging Pablo in einen deutschen Kindergarten. Gedanken über sein Deutsch hatten wir uns zuvor nie gemacht. Meine Frau und ich sind beide Level B2/C1, haben Deutsch gelernt bzw. lernen auch heute noch. Auf einmal bekamen wir ein Feedback wie Donnerhall. Das Deutsch unseres Sohnes sei nicht ausreichend, um ordnungsgemäß eingeschult zu werden. Auf unsere Nachfragen reagierte die Schule abweisend, blockierte sogar richtig: Für die Sprachentwicklung seien vor allem wir verantwortlich. Man könne ihn ja auf eine Förderschule schicken. Unterstützung, Hilfsangebote? Fehlanzeige. Mein Deutsch-Lehrer Olli fragte auf meine Schilderung daraufhin ein zweites Mal bei der Schule nach. Ob man das Problem nicht anders lösen könne. Ob es Angebote seitens der Schule gebe, ob es beratende Stellen gebe, die der Familie weitere Wege aufzeigen könnten. All das verneinte die Schule vehement, immer noch in dem Tenor: „Man könne sich nicht um alles kümmern“.
Mehrsprachigkeit sorgt für Stress und Traurigkeit in der Familie
Wir litten. Meiner Frau fehlte die Konzentration, die Energie für ihre Arbeit. Sie machte sich unentwegt Vorwürfe: Hätten wir Pablos Deutsch mit fördern sollen? Müssen? Habe ich in seiner Erziehung etwas falsch gemacht? Was hätte ich besser machen können, vielleicht sogar müssen? Unser Kleiner verstand nicht, warum seine Eltern oft traurig waren. Warum er auf einmal Deutsch sprechen sollte, unter Druck gesetzt von uns in unserer Verzweiflung. Wir pushten, vorher hatten wir das nie getan – er reagierte mit Trotz, Unverständnis, Wut, Traurigkeit. Ein Teufelskreis – denn Deutsch hasste er so auf einmal noch viel mehr.
Ich selbst war in dieser Zeit ständig krank, das Pendeln war wie ein Rucksack voller Steine, auf der Arbeit fehlte mir an langen Tagen der Überblick. Meine Firma konnte nicht unterstützen, es fehlten Erfahrungswerte und die Kontakte nach Nürnberg. Einzig ein Rat, nach Bayreuth zu kommen mit der kompletten Familie sprang heraus. Unseren Freundeskreis in Nürnberg, die Uni-Anbindung meiner Frau an Erlangen/Nürnberg, Pablos soziales Umfeld berücksichtigte dieser Rat nicht.
Sprachförderung mit Spiel und Spaß!
Was tun? Wir überlegten, stritten, weinten, auf der Suche nach dem richtigen Weg. Gingen mit Pablo zum Kinder-Psychologen. Zusammen mit Olli entwickelten wir einen „Deutsch-Kurs“, mit integrierten Spielen, Pausen. Druck nahm uns endlich auch unsere Entscheidung, Pablo zur Not ein Jahr zurückstellen zu lassen. Die Psychologin half mit ihrer einfühlsamen Art. Vier, fünf Monate war es ein Kampf, voller Stress, voller Auf und Abs.
Pablo hat es geschafft - mit der Hilfe von Olli
Pablito kam wirklich erst ein Jahr später in die Schule, aber wir alle waren deutlich entspannter. Wichtig war, dass wir irgendwann verstanden haben, dass Hilfe von außen keine Schande ist. Ganz im Gegenteil: Was hätte ich für Betreuung gegeben, im Sinne von Hilfe, von Hinweisen darauf, wie wichtig und schön eine zweisprachige Erziehung gewesen wäre. Wie viel einfacher wäre es gewesen, hätten wir eine Motivation vor Augen gehabt, jemanden, der uns die Chancen aufgezeigt hätte, ein Leben ohne das Weinen meines Kindes, weil meine Frau und ich in unserer Not den Druck auf ihn abladen?
Mehrsprachigkeit funktioniert!
Ich denke oft an diese Zeit. Heute ist die Freude wieder zurück, Pablo hat auch in der Schule Freunde, mit denen er spielt, die er außerhalb der Schule trifft. Und sein Deutsch wird immer besser. Ich habe irgendwie bei den Gedanken an diese Zeit das Gefühl, wir hatten Glück im Unglück. Und hätten Hilfe bitter nötig gehabt.